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gerettet

[roterhund]

Der grau beanzugte Mann war nun einige Kilometer aus dem Stadtviertel hinaus stumm vor mir hergelaufen und ich war ihm auf die unauffälligste Art gefolgt, die ein roter Hund an den Tag legen kann. 

 

Ich dachte schon, er wolle den Rest seines Lebens so weiter geradeaus laufen, als er plötzlich auf dem Fuße stehen blieb, um dann zielstrebig nach rechts in eine schummrig beleuchtete Bar abzubiegen. Ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken, was ein Mann wie er in einer solchen Bar wollte, die von außen doch recht schmuddelig aussah, mit ihren abgeranzten, eingefalteten Sonnenschirmen vor dem Eingang, dem verwelkten Bambusgras links und rechts in den zertrümmerten Betonkübeln und der Lichterkette, von der gut zweidrittel der Birnen den Geist aufgegeben hatten in dem ansonsten ebenfalls recht spärlich beleuchteten Eingangsbereich.

 

Fast hätte ich ihn aus den Augen verloren, als ich zwischen den unbekannten Gesichtern auf den Barhockern einen ziemlich kurzen Rock wiedererkannte, den ich schon einmal gesehen hatte. Zunächst glaubte ich, mich zu täuschen, denn die zu dem Rock gehörenden Beine lagen ohne die Absätze auf dem Schoß des offensichtlichen Getränkespenders, der dicht bei ihr saß. 

Die Finger der einen Hand hielten ein Tütchen, während die der anderen Hand sich unter seinem weißen Shirt ausruhten. Sie machten beide einen leicht erschöpften Eindruck und als sie ihm etwas ins Ohr flüsterte, um ihm anschließend die Zunge in den Hals zu schieben, ahnte er, von was ihre Erschöpfung gekommen war. Fast kam es ihm vor, als baumelten die perlenbehangenen Stränge des Vorhangs ins Hinterzimmerchen der Bar immer noch. 

 

War der alte Herr etwa in diese Bar abgebogen, um ihr die Münze zurück zu geben?

Kannte er sie etwa?

Diese Fragen ließen sich glücklicherweise recht schnell mit "nein" beantworten, denn er ging schnurstracks an den beiden vorbei, grüßte den Mann an der Theke und sprach kurz einige Worte mit ihm, die ich nicht verstehen konnte. Dann hielt er ein imaginäres Telefon an sein Ohr, sah den Thekenmann bittend an und dieser machte eine nach hinten durch den Perlenvorhang deutende Bewegung mit der einen Hand und schenkte gleichzeitig mit der anderen, den beiden, die so sehr auf sich konzentriert waren, dass sie nichts um sich herum wahrnahmen, den nächsten Drink ein. 

 

Der alte Mann ging an der Theke vorbei und verschwand durch den Vorhang im Hinterzimmer der Bar. 

 

Als ich mir ebenfalls meinen Weg dorthin gebahnt hatte, sah ich ihn, wie er den Münzfernsprecher an der Wand benutzte. Er warf einige Münzen hinein und wählte eine Nummer. Während die Verbindung hergestellt wurde, holte er mir der Hand, in der er nicht den Hörer an sein Ohr presste, die Münze heraus, die er auf der Straße gefunden hatte und drehte sie zwischen seinen Fingern hin und her. Erst als die Person am anderen Ende der Leitung das Gespräch entgegennahm, steckte er sie wieder in seine Tasche und begann zu reden.

 

"Ja, ich habe es."

 

"Ich weiß, ich weiß. Es ist fast wie ein Wunder, dass es unbeschädigt geblieben ist."

 

"Im Schrank oben im ersten Stock, hinter dem Alltagsgeschirr."

 

"Mach dir keine Sorgen, dort ist es gut aufgehoben."

 

"Ja, ich weiß, für wen du es vorgesehen hast. Eines Tages wird es soweit sein und sie wird es bekommen. Du wirst schon sehen."

 

"Ich liebe dich auch. Bis bald, mein Schatz."

Dann legte er auf. 

Zum ersten Mal in meinem Hundeleben verstand ich nur Bahnhof. Dass die Person am anderen Ende der Leitung seine Frau war, war unüberhörbar. Aber... was zum Geier war unbeschädigt geblieben? Verschenken? Warum versteckte man etwas hinter dem Alttagsgeschirr, um es dann zu verschenken? Es war ja schließlich noch nicht Ostern...

Verwirrung im roten Hundekopf. 

Aber... keine Zeit für Verwirrung. 

 

Der alte Mann entnahm sein Rückgeld des Telefonats aus dem kleinen Fach am unteren Rand des Münzfernsprechers, steckte es in seine Jackentasche und verließ den Hinterraum der Bar. 

Ich war so verdattert, dass ich ihm nur hinterher blicken konnte. 

 

Die Perlen des Vorhangs flogen um meine Nase und verhedderten sich an meinem Hals. Als ich mich schließlich mit einiger Verzögerung aus dem Getüdder befreien konnte, war der Mann bereits verschwunden.


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