[roterhund]
Ich spürte noch die Perlenschnüre des sich langsam wieder zur Ruhe setzenden Vorhangs an meinem roten Hinterteil, doch blieb mir keine Zeit, über das Verschwinden des grauen Anzugmanns nachzudenken, weil mich in diesem Moment eine Hand unter meinem Bauch packte, dort, genau an der Stelle, wo ich es überhaupt nicht ausstehen kann, und mich vom Boden der Bar hochriss, als wolle sie mir zeigen, wie man die Schwerkraft außer Kraft setzen kann.
Es kam mir vor wie die wildeste Achterbahnfahrt, als Barhockerbeine, Lampenfetzen, gestreifte Blusenarme, Fensterbalken mit schiefen Plastikblumen und Biergläserreihen an mir vorbei flogen, bis ich schließlich in die Augen dieses jungen Mannes blickte, der mich vor seinem Kopf in der Luft hielt, als hätte die Achterbahn plötzlich ein schwerwiegendes Problem mit der Elektrik.
"Was bist du denn für einer?", fragte er (offensichtlich mich), starrte mich an und schien noch nie in seinem Leben davon gehört zu haben, dass Hunde auf solche Fragen nicht antworten können.
Der Martin Rütter wird sicherlich den ein oder anderen Hundebesitzer kennen, der von seinem Hund behauptet, dass er jedes Wort versteht. Aber ich glaube kaum, dass er auch jemanden kennt, der behautpet, dass ihm sein Hund Antworten gibt. Erst recht nicht auf solche Fragen wie "Was bist du denn für einer?" oder noch besser: "Ja, wo isser denn?" - die wohl meist gestellteste und gleichzeitig sinnloseste Frage, die man einem Hund stellen kann, dem man auf Nasenhöhe gegenüber steht.
Die Nachwirkungen der Achterbahnfahrt machten sich nun in meinem Magen bemerkbar und ich hoffte, dass dieser Fragensteller mich bald auf meinen Boden der Tatsachen zurück stellen würde, denn Tatsache war: Ich musste mal.
Aber er machte keine Anstalten, mich herunter zu lassen. Stattdessen drehte er mich hin und her, wieder zurück, bis ich schließlich mit dem Kopf nach unten in seinen Händen gefangen hing.
Kopfüber sah ich nun, wie die Burschen um ihn herum aufmerksam wurden.
Einer kam näher und beäugte mich argwöhnisch.
"Was hast du dir denn da angelacht?", fragte er und deutete mit seinem halbleeren Bierglas auf mich, "so war das aber mit der Aufreißerei nicht gedacht!"
Dieser Satz war anscheinend besonders lustig, denn die anderen Burschen um ihn herum fingen lauthals an zu lachen. Das änderte an der gewissen Tatsache aber auch nichts. Mein Bauch rumorte und
ich musste verdammt nochmal vor die Tür. Jetzt sofort.
Offensichtlich sprachen meine flehenden Augen nicht die selbe Sprache wie er. Was hätte ich in diesem Moment dafür gegeben, wenn der Martin Rütter zur Tür hereinspaziert wäre, um zu
dolmetschen... aber der hatte natürlich nichts besseres zu tun, als seinen Australienaufenthalt zu planen, um dort irgendwelche Dingos zu beobachten. Männer!
Wenn ich gewusst hätte, dass die ganze Sache noch schlimmer wird, hätte ich meine Energie in dieser Situation vielleicht besser in die Kontrolle meines Schließmuskels gesteckt, als in die Gedanken an den Rütter und seine Dingos.
Denn jetzt kam einer von den lachenden Burschen auf mich zu, schnappte mich, sagte: "Nun lass doch mal dieses Vieh und trink noch einen mit uns!" und stellte mich zwischen den Gläsern der anderen Burschen auf der Theke ab. Großartig. Wirklich eine deutliche Verbesserung meiner Lage.
Wenn ich ehrlich bin, hätte ich in diesem Moment gerne einen fahren gelassen. Nun stand ich also da. Die Theke zu hoch, um herunter zu springen, die Burschen mit ihren Gläsern beschäftigt und
Fliegen war in der Evolution der roten Hunde nicht vorgesehen.
Und dann passierte es. Zuerst kam nur die Luft, die ich vorher erfolgreich unterdrückt hatte, und dann der ganze Rest.
Kennt ihr diese Koboldmakis? Das sind diese kleinen Tierchen, zur Familie der Lemuren gehörend und auf Facebook und Insta zur Belustigung von Millionen Zuschauern eingesetzt, die ihre Augen so weit heraus strecken können, dass man meint, sie kugeln jeden Moment am Boden rum.
Wer den Blick dieser kleinen Tierchen schon einmal gesehen hat, kann sich nun bildlich vorstellen, wie ich in diesem Moment dreingeschaut habe. Nun hatte ich also auf diese Theke gekackt. Ganz wunderbar.
Und da war schon die Stimme des Barmanns, die für mich wie durch Watte geschrien klang, den Blicken der restlichen Gäste nach zu urteilen aber eher die Lautstärke besaß als würde er durch ein Megafon schreien: "Hat dieser Hund gerade ernsthaft auf meine Theke gekackt??"
Gefühlte acht Milliarden Koboldmakiblicke auf meinen Haufen.
Dann ging alles ganz schnell. Wildes Barmannarmgefuchtel, ein Stück Zewawischundweg, mehrere feuchte Stöße aus einer Sprühflasche, die mir die Nase alkoholisierten, dann ein Schubser, zwei Hände,
die mich auffingen und die nächste Achterbahnfahrt durch die Bartüre heraus auf die Straße.
Eine aufgerissene Bustür, ein Umzugskartondeckel, dann war alles ganz schwarz.
Ich wusste nicht, was besser war. In aller Öffentlichkeit auf eine Theke zu kacken oder nun offensichtlich von ein paar Burschen gekidnappt worden zu sein. Der Bus fuhr los.
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