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schlüsselübergabe

[roterhund]

 

Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit in dem Karton gewöhnt hatten, entdeckte ich ein kleines Loch an einer Ecke. Es war gerade so groß, dass ich die vorbeiflitzenden Lichter von Straßenlaternen sehen konnte, die für Sekunden durch die hintere Scheibe des Busladeraums fielen. 

 

Ich hatte keine Chance, mich aus diesem Karton zu befreien, denn jedes Mal, wenn ich versuchte, meine Nase durch das Loch zu stecken, um es größer zu beißen, wurde ich wieder in die andere Ecke des Kartons geschleudert. Der Bus fuhr offensichtlich eine ziemlich kurvenreiche Strecke und es schien so, als würde den Fahrer die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht interessieren.

Die Sache war aussichtslos. Selbst wenn ich es geschafft hätte, aus dem Karton heraus zu kommen, wäre ich immer noch in diesem fahrenden Bus gefangen gewesen. Ich hatte keine andere Wahl, als auszuharren und abzuwarten, was diese Burschen mit mir vorhatten.

 

Trotzdem blieb eine Frage: Warum kidnappte man einen roten Hund?

Nach einer Ewigkeit kam mein fahrendes Gefängnis zum Stehen. Ich hörte, wie vorne ausgestiegen und wenig später hinten die Ladeflächentür geöffnet wurde. Durch das kleine Loch konnte ich ein paar mal Arme und Hände sehen, die etwas aus dem Bus heraus holten, was wohl um meinen Karton herum gestanden hatte.

 

"Wo ist denn hier der verflixte Backstage-Eingang?", hörte ich einen der Burschen fluchen. Ich glaubte, zu erkennen, dass es derjenige war, der mich in den Karton gesteckt hatte.

"Müssen wir jetzt das ganze Zeug vorn rum schleppen?", fragte einer von den anderen.

 

"Hey Jungs!", hörte ich  nun eine weibliche Stimme rufen, "ihr seid sicher die Band! Kommt, ich zeige euch, wo ihr aufbauen könnt."

 

Sinnvoller wäre, du würdest ihnen sagen, dass sie mich hier raus lassen sollen, dachte ich.

 

Wenig später waren offensichtlich alle verschwunden. Weder die Kidnapperburschen noch die Frauenstimme waren mehr zu hören. Es verging wieder eine Ewigkeit, bis ich plötzlich Musik hörte. Es klang als würden dort verschiedene Instrumente spielen und jemand sang. Immer wenn die Musik wieder verstummte, konnte ich Applaus und jubelnde Menschen hören.

 

Meine übrig gebliebene Frage konkretisierte sich: Warum kidnappte eine Band einen roten Hund?

 

Wieder ein Applaus, dann kamen Schritte auf den Bus zu. Jemand öffnete die Tür und kramte, vermutlich in einer Tasche.

 

"Komm, nimm eine von mir, bis du deine gefunden hast!"

 

Schluss mit der Kramerei. Ein Feuerzeuggeräusch. Ein "Danke."

 

"Hast du gesehen, deine kleine Rothaarige ist auch wieder da. Erste Reihe links."

Der Gefragte schien nicht zu antworten, nur stieg mir Zigarettenrauch in die Nase.

 

"Was tut eigentlich dieser Karton noch hier?"

 

Das war offensichtlich nicht die Antwort auf die gestellte Frage, aber die Antwort interessierte mich viel mehr als die Rothaarige in der ersten Reihe, denn ich wollte endlich hier raus.

 

Kaum hatte ich das gedacht, ruckelte der Karton hin und her, es wurde kälter und dann befand ich mich für einige Sekunden im freien Fall. Als der Karton am Boden aufschlug, kippte er mit mir zur Seite und der Deckel öffnete sich. Ich war frei.

 

Ich rappelte mich auf und schaute mich um. Gerade noch konnte ich sehen, wie die zwei Burschen durch eine Tür verschwanden. Jetzt, wo ich wieder auf freiem Fuß war, war auch meine Neugierde wieder die alte und ich folgte den Beiden.

Kaum war die Tür hinter uns verschlossen, war es wieder recht dunkel und ich konnte mich hinter einem schwarzen Vorhang verstecken, um die Situation zu beobachten. Wir waren hier offensichtlich hinter einer Bühne. Die restlichen Burschen tauchten nun auch wieder auf. Einer hatte eine Gitarre. Da war auch der, der mir in der Bar die Achterbahnfahrt verpasst hatte. Er hatte ein Mikrofon in der einen Hand und deutete mit der anderen auf einen weiteren schwarzen Vorhang.

 

Die anderen nickten, stellten sich zusammen hin und dann nickte wieder einer. In der nächsten Sekunde verschwanden sie alle hinter dem Vorhang und der Applaus setzte schlagartig wieder ein. Dann wieder Musik. Applaus. Musik. Applaus. So ging es eine ganze Weile. Als der letzte Ton verklungen war, bebte der Applaus ein letztes Mal auf. Dann ein Stimmengewirr, Füße, die den Saal verließen. Das Konzert war vorbei.

Der schwarze Vorhgang bewegte sich wieder. Aber nur einer der Burschen kam wieder zurück hinter die Bühne. Es war der Achterbahnchef, eine kleine, zierliche Frau im Schlepptau. Das musste die Rothaarige aus der ersten Reihe sein. Wie mit Klebstoff aneinander geklebt, verschlangen sie ihre Arme umeinander, dann begann er, sie zu küssen.

 

Ich hätte mir wahrscheinlich ein Baströckchen anziehen und einen hawaiianischen Regentanz aufführen können und sie hätten mich nicht bemerkt, so vertieft waren sie.

 

Erst als der Vorhang sich wieder bewegte und die anderen Burschen nach hinten kamen, löste sich der Klebstoff und die Beiden ließen voneinander ab. Schnell drückte er ihr einen weiteren, diesmal eher flüchtigen Kuss auf die Wange und nahm ihre Hand. Ein kleines Bündel, mit Papier umwickelt, wechselte unauffällig den Besitzer, dann wandte er ihr den Rücken zu und verschwand mit den anderen Burschen erneut hinter dem Vorhang.

 

Sie stand eine Weile regungslos da und faltete dann das Papier auseinander. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie das 1. nicht zum ersten Mal tat und 2. schon wusste, was sich in dem kleinen Bündel befinden würde. Es war ein Schlüssel mit einem ziemlich dicken, metallenen Anhänger daran. Sie schaute ihn kurz an, steckte ihn dann in ihre Hosentasche und ging Richtung Ausgang.

Ich folgte ihr in die Dunkelheit der Nacht. Sie ging einige hundert Meter über den Parkplatz vor dem Gebäude, in dem wir uns vorher befunden hatten, stieg dann in ihren kleinen, gelben Wagen ein und fuhr los.


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